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NOTLANDUNG

Das Wesen sieht fürchterlich aus. Sein Hals ist beinah so dick wie sein Kopf, seine Augen sind winzig und stehen eng beieinander, ganz an der Vorderseite des seltsam kleinen, verschrumpelten Gesichts. Wenn es in eine andere Richtung schauen will als nach vorne, muß es vermutlich seinen dicken Hals verrenken. Es steht auf dünnen hellblauen Hinterbeinen und ich kann kaum glauben, daß ein Tier dieser Größe auf derart verkümmerten Gummistengeln überhaupt stehen, geschweige denn laufen kann  -  aber es kann. Die Haut seines walzenförmigen Körpers ist vielfarbig, ohne Federn, Fell oder Schuppen, eher trocken und faltig, eigenartig stumpf, genau wie die seiner Vorderbeine, die im Augenblick dünn und schlaff an ihm herunterhängen und in vielen zarten weißen Tentakeln enden.

Aus seiner ersten Reaktion schließe ich, daß es genauso überrascht ist wie ich. Regungslos verharrt es zwischen den Pflanzen, seine kleinen tiefliegenden Knopfaugen fest auf mich geheftet.

Ich glaube, es weiß genau, daß ich verletzt bin.

Es greift nicht an und es flüchtet nicht. Es steht nur da und starrt und starrt. Beinah scheint es, als wolle es in Ruhe abwarten, daß ich an meiner Verletzung sterbe, um sich dann erst näherzuwagen. Ein Aasfresser vielleicht?

Ist es gefährlich? Ist es allein?

Ich weiß gar nichts. Ich weiß nicht einmal, auf welchem Planeten ich mich befinde. Lichtjahre schien mir der hilflose Sturz durchs All zu dauern, nachdem das Schiff, von irgendetwas Großem getroffen, auf nichts mehr reagierte, die Instrumentenanzeigen ausgefallen und die Sauerstofftanks so gut wie leer waren, der Bordcomputer verrückt zu spielen begann, der Funkkontakt zu Ark XII abgerissen war........

Kurz bevor ich das Bewußtsein verlor, tauchte ein leuchtend weißlichblauer Planet im Sichtfenster auf und ich versuchte es auf gut Glück, aktivierte das Rettungsprogramm oder was davon übrig war, hoffend, daß der Computer nur einmal noch, ehe wir beide endgültig abstürzten, in einer Art lichten Moments richtig reagieren würde........ daß die Atmosphäre des Planten eine für mich atembare wäre........ daß ich nicht schon hier oben ersticken oder dort unten zerschellen würde, ehe ich die Chance hätte, das herauszufinden........ Versuchte den Orientierungsstrahl manuell wenigstens ungefähr zu justieren, befahl "Notlandung" und wurde ohnmächtig.

Daß ich wieder aufgewacht bin, spricht dafür, daß es hier eine Sauerstoff-Stickstoff-Atmosphäre gibt. Die Chancen dafür standen........ ich will es mir gar nicht ausrechnen. Ich müßte tot sein, aber ich lebe. Die Schwerkraft ist um einiges niedriger als zu Hause  -  wahrscheinlich aus diesem Grund kann das Ding hier auf seinen wackligen Stelzen stehen.

Ich bin noch nie auf einem fremden Planeten gelandet. Es war mein zweiter Schulflug mit einer Ein-Mann-Fähre, Ark XII immer dicht neben mir. Alles, was ich hoffen kann, ist, daß mein Schiff genug Strahlung auf seinem sinn- und haltlosen Torkelflug im Raum hinterlassen hat, um Ark den Weg zu mir zu weisen  -  falls er nicht irgendwo auf einem der umliegenden Sterne festsitzt und das gleiche Schicksal erlitten hat wie ich.

Die Landung war unsanft, von den Luftschilden nur notdürftig abgebremst, die Landebeine verklemmt und nur teilweise ausgefahren. Das Programm war offenbar auch nicht mehr imstande, zwischen ebener Landefläche und Geröllbrocken zu unterscheiden. Mein kleines Boot liegt völlig verbeult, teilweise zerfetzt auf der Seite und vermutlich habe ich mehr Glück als Verstand gehabt, daß ich herausgeschleudert und nicht irgendwo eingeklemmt worden bin. Ich habe keine Ahnung, wie lang ich ohnmächtig war. Meine linke Seite ist blutverklebt und den ersten Versuch, mich zu bewegen, stoppt sofort der Schmerz, der durch meinen ganzen Körper fährt.

Das Wesen ist bei meiner Bewegung zurückgewichen. Jetzt kommt es vorsichtig wieder näher und beginnt unversehens leise zu gurren. Es sind leise, beruhigende Töne, fast scheint es, als hätte es meinen Schmerz erkannt, der tatsächlich größer ist als die Angst, die ich eigentlich haben müßte. Als erstes muß die Verletzung verschwinden, ehe ich mich mit meiner Umgebung auseinandersetzen kann, das ist mir klar. Zentimeter um Zentimeter taste ich an meinem Gurt umher, bis ich den Regenerator erreiche und herausziehen kann. Als das Wesen das Gerät sieht, dreht es sich um, macht ein paar komische Sprünge auf seinen hellblauen Hinterbeinen, läßt sich dann auf alle vier Pfoten fallen, um - anscheinend in heller Panik - hinter einem gestrüppumwachsenen Felsen zu verschwinden.

Ist es imstande zu denken? Hat es vielleicht schon Bekanntschaft mit Waffen gemacht? Hält es den Regenerator für ein Waffe? Alle diese Fragen müssen warten. Vorsichtig führe ich das Gerät an meine linke Seite, versuche die Wunde zu orten und spüre fast augenblicklich Erleichterung, als die leisen Schwingungen beginnen, den Heilungsprozeß einzuleiten. Mit geschlossenen Augen lasse ich den Regenerator seine Arbeit tun, die Müdigkeit und Erschöpfung beinahe genießend, die wächst, je weiter der Schmerz abnimmt. Es dauert sehr lange. In letzter Minute kann ich verhindern, daß ich einschlafe und mir ist klar, daß es, bis Ark XII mich findet, all meines Willens bedürfen wird, um nicht in den behaglichen Dämmerzustand zu fallen, der der Gewebsregenerierung einer so großen Wunde gewöhnlich folgt und meist stunden-, manchmal tagelang dauert.

Es ist beruhigend, mir vorzustellen, daß sich das Wesen fürchtet. Es ahnt wahrscheinlich nicht, daß ich gar keine Waffe an meinem Körper trage und zu schwach bin, um in mein Schiff zu kommen und dort im Chaos nach einer zu suchen. Als ich, beinahe schmerzfrei, endlich imstande bin, mich ein wenig aufzurichten und umzusehen, entdecke ich aus den Augenwinkeln das obere Ende des Wesens, das vorsichtig hinter seinem Stein hervorlugt und mich beobachtet, aber sofort wieder verschwindet, als ich ihm mein Gesicht zuwende.

Ich höre es rascheln. Dann steht es langsam auf und Schritt für Schritt, rückwärts gehend, zieht es sich in Richtung der hohen Gräser zurück, die uns umgeben. Es hat wieder begonnen, seine tiefen, leisen Töne von sich zu geben, macht dabei eigenartige langsame Bewegungen mit seinen dünnen schlangenartigen Vorderbeinen. Dann ist es verschwunden.

Stunden vergehen. Ich liege auf dem Rücken und beobachte den großen weißlichgelben Stern, der diesen Planeten erhellt. Er wandert schnell, viel schneller als unsere Sonne über den Himmel. Ich schätze, daß Tage und Nächte hier etwa halb so lang dauern wie zu Hause. Allein und so gut wie handlungsunfähig vor Schwäche, von der beunruhigenden Gegenwart des fremden Tiers und auch vom Schmerz befreit, habe ich jetzt genug Gelegenheit, mir Sorgen zu machen. Wenn Ark noch am Leben ist und es ihm gelingt, meiner Strahlungsspur zu folgen, bleibt ihm dennoch nicht viel Zeit, um mich vor Einbruch der Dunkelheit zu finden. Ark XII ist alt und erfahren, mein Lehrer, einer der besten. Wenn mich jemand retten kann, dann er. Komm schon, sende ich mit aller geistigen Energie, deren ich fähig bin, hinauf zum Himmel, bitte komm, hol mich hier raus, ehe es dunkel wird, ehe ich einschlafe oder verhungere oder beides, ehe das häßliche bunte Ungetüm mit seinen Kumpels zurückkommt und wer weiß was mit mir anstellt  -

So verzweifelt warte ich auf das Geräusch von Arks Schiff aus dem Himmel, daß ich das leise Geräusch ganz in der Nähe beinah überhört hätte. Das Wesen ist wieder da und es ist allein. Die Erleichterung darüber weicht aber sehr schnell einer aufkommenden Panik, als es näher kommt, näher als zuvor, langsam und vorsichtig zwar, aber unaufhaltsam. Ich versuche mich aufzurichten, kann mich aber nur mühsam bewegen, meine Glieder gehorchen mir noch nicht.

Das Wesen gurrt wieder. Als es ganz nahe gekommen ist, nähert es  langsam seinen Körper dem Boden, indem es seine wackligen Gehwerkzeuge einfach zusammenfaltet, bis es mir Auge in Auge gegenüberhockt. In seinen häßlichen Tentakeln hält es etwas, das es nun in zwei Teile bricht. Einen davon legt es auf den Boden, fast in meiner Reichweite. Es ist ein unfarbiger, unförmiger Klumpen, ich kann ihn riechen, er riecht irgendwie streng und heiß. Ich kann jetzt auch das Wesen riechen, süßlich und betäubend, dabei bin ich doch schon halb betäubt von den Folgen meiner Verletzung und deren Heilung.

Das Wesen führt die andere Hälfte des Klumpens an sein Gesicht, wo sich plötzlich ein kleiner schmaler Schlitz öffnet, den ich bis jetzt noch gar nicht wahrgenommen habe. Ein kleines Stück des Klumpens verschwindet in dem Schlitz. Es frißt! Es frißt diesen gräßlichen Klumpen auf! Und trotz des Grauens, das dieser Anblick in mir auslöst, spüre ich plötzlich einen geradezu gemeinen, nagenden Hunger in meinem Inneren.

Nachdem das Wesen drei oder vier Bissen zu sich genommen hat, streckt es seine Tentakel nach dem Klumpenstück auf dem Boden aus und schiebt es langsam in meine Richtung, so weit, bis ich es erreichen könnte, könnte ich mich nur dazu überwinden, es anzufassen. Dann zieht es seine Tentakel schnell wieder an sich und sieht mich erwartungsvoll an.

Es hat mir zu essen angeboten. Was immer das ist, es ist seine Nahrung und es will sie mit mir teilen. Mir wird übel bei dem Gedanken, mir das in den Mund zu stecken. Trotzdem: Ich bin halb verhungert und muß immerhin mit der Möglichkeit rechnen, daß Ark XII mich nicht oder nicht so bald findet. Dieses Wesen atmet die selbe Luft wie ich und frißt vielleicht Nahrung, die auch mein Körper verträgt. Vielleicht. Das Zeug zu mir zu nehmen, könnte mich töten  -  aber es könnte mich auch wieder zu Kräften bringen. Vielleicht.

Bisher war das Glück im Unglück auf meiner Seite. Und ich bin krank vor Hunger und Schwäche. Vorsichtig strecke ich einen Arm aus und berühre den gräßlichen Klumpen, ziehe ihn näher zu mir, versuche dabei, nicht zu sehr einzuatmen. Das Wesen nickt und schmatzt und kaut, läßt mich dabei nicht aus den Augen. Vorsichtig berühre ich das Zeug mit meiner Zunge, stecke einen kleinen Krümel davon in den Mund. Es ist weich, teilweise von einer festeren Kruste umgeben, pappig und faserig zugleich, mit kleinen schwarzen Körnchen im Inneren. Den ersten Bissen schlucke ich mit Mühe und Widerwillen, warte ein wenig. Nichts passiert. Nur der Hunger nagt wütender als je. Der zweite, etwas größere Bissen fällt schon leichter. Mit geschlossenen Augen und zugehaltener Nase, den strengen Geschmack ignorierend, mampfe ich schließlich das ganze Zeug in mich hinein, wohlig und weich fühlt es sich an im Magen, und erstaunt stelle ich schließlich fest, daß es gutgetan hat, daß ich sogar mehr davon vertragen könnte........

Das Wesen und ich blicken uns an. Obwohl es fertiggefressen hat, öffnet sich der kleine häßliche Schlitz ein weiteres Mal, zieht sich in die Breite, gibt den Blick frei auf viele kleine blitzende Stummelzähnchen. Gleichzeitig beginnt wieder dieses tiefe kehlige Gurren - es kommuniziert! Es versucht, mit mir zu sprechen  -

Dann ist Ark da. Mit einem schrillen Kreischen und breit ausgefahrenen Landebeinen fällt er so plötzlich aus dem Himmel, daß sogar ich, der so sehnsüchtig auf ihn gewartet hat, erschrocken bin. Das Wesen springt auf und davon, Ark XII reißt die Luke seines Raumschiffs auf, die Waffe in der Hand. "Nein, Ark! Nicht!" Mein Schrei mischt sich in das Zischen seines Schusses, das in wilder Flucht begriffene Wesen glüht auf, stürzt, verschwindet sich auflösend in den hohen Gräsern, die es einen Augenblick zu spät erreicht hat.

"Schnell!" schreit mein Retter, helle Panik in der Stimme, reißt mich hoch mit einer Kraft, die ich ihm niemals zugetraut hätte, schiebt und stößt mich zu seinem Gefährt und zieht das Schiff mit aufheulendem Antrieb schon wieder hoch, noch ehe sich die Luke hinter uns ganz geschlossen hat.

Benommen und nicht im geringsten begreifend, was eben geschehen ist, liege ich geschockt in meinem Sitz und glotze wie ein Idiot durch das Sichtfenster auf die Planetenoberfläche, die sich unter uns rasend schnell entfernt. Trauer, Zorn, Erleichterung  -  was auch immer es ist, das in mir tobt, es nimmt mir den Atem und macht mich unfähig, zu sprechen. Ark XII fliegt konzentriert und mit einer Geschwindigkeit, die den Rumpf der Maschine selbst in dieser dünnen Atmosphäre zittern läßt. Seine Schläfen sind dunkel verfärbt und seine Kiefer mahlen. Er hat Angst, denke ich, zum erstenmal sehe ich, wie Ark XII, mein alter Lehrer, Angst hat. Erst als wir aus der Atmosphäre des Planeten heraus sind und die Schwärze des Alls uns einhüllt wie ein schützender Mantel, beruhigt er sich ein wenig und wendet sich mir zu.

"Ich glaube, du weißt gar nicht, in welcher Gefahr du warst," sagte er langsam. "Ich glaube wirklich, du hast es gar nicht mitgekriegt. Als ich begriffen hatte, wo du aller Wahrscheinlichkeit nach notgelandet warst, hab ich dich schon beinah aufgegeben."

"Aber ich konnte atmen! Und das Wesen war harmlos, sogar freundlich! Es hat versucht, sich mit mir zu verständigen. Es hat mir zu essen gegeben........" Er hat recht, ich bin fassungslos, ich begreife es nicht.

"Du bist in die Sperrzone gestürzt, Sing VIII," erklärt er mir sanft. "Du bist unendlich weit vom Weg abgekommen und in die Sperrzone gestürzt. Wo hast du deine Ohren gehabt auf der Akademie, als die Sperrzone durchgenommen wurde? Dieser Planet und diese Wesen," Ark XII schüttelt sich und die Haut auf seinen Armen beginnt sich zu kräuseln, "diese Wesen gelten als die bösartigsten und gefährlichsten in der ganzen Galaxis. Sie sind so aggressiv, daß sie sich gegenseitig zerfleischen, wenn nicht gerade etwas anderes in der Nähe ist, das sie gemeinsam jagen und töten können. In Jahrzehnten der Beobachtung ist es unseren Wissenschaftlern nicht gelungen, irgendein nachvollziehbares Motiv oder ein Gegenmittel für diesen Trieb zur Gewalt festzustellen." Er schüttelt sich wieder. "Stell dir vor, du wärst nicht einem einzelnen begegnet, sondern mitten in ein Rudel dieser Bestien geflogen........"

Eiskalt dämmert es mir. Die Sperrzone. Die gelbe Sonne. Die Ansammlung von seltsam verwinkelten eckigen Nestbauten, die ich im Wegfliegen am Horizont gesehen habe........die metallgrauen Bänder, die die Planetenoberfläche überzogen und durchschnitten......

Ja, natürlich habe ich von der Sperrzone gehört, Bilder gesehen auf der Akademie von diesem grausamsten, tödlichsten aller Planeten........

"Du meinst," flüstere ich, und ein eiserner Ring quetscht mir den Hals zusammen, "du meinst  -  dieses Wesen war ein Mensch?  Du meinst  -  ich war fast einen ganzen Tag lang  -  auf der Erde???"

Ich sehe noch, wie Ark XII sich mir zuwendet und eine zustimmende Geste macht. Seine Fühler zucken.

Dann wird mir schlecht.