ZURÜCK































































ZUM SEITENANFANG


ZURÜCK ZU "GESCHICHTEN"
BREAKOUT

Als wir das Lokal betreten, meine Geliebte und ich, steht er an der Bar und noch ehe sie ihn sieht und mir vorstellen kann, erkenne ich ihn, weiß, wer er ist.


Wir kannten uns erst ein paar Tage, da erzählte sie mir bereits die Geschichte ihres Bruders, des schwarzen Schafs, dessen Name in der Familie nur noch hinter vorgehaltener Hand genannt werde, und zu dem nur sie noch Kontakt und ein enges geschwisterliches Verhältnis habe.

"Wie sieht er aus?" wollte ich damals wissen.
"Genau wie ich," erwiderte sie lachend. Sie lacht überhaupt sehr gern und viel.
Und ich spürte mein Herz klopfen, blickte in ihre herrlichen schwarzen Augen und flüsterte: "Dann muß er wunderschön sein."

Das ist er. Er ist so freundlich wie schön, er freut sich wie verrückt, sie zu sehen, er freut sich aufrichtig, mich kennenzulernen, er umarmt sie und lacht, er fragt sie dies und das. Er umarmt auch mich, rückt sofort von mir ab, als er mein Zurückschrecken wahrnimmt, sieht mir ins Gesicht, scheint einen Augenblick lang verunsichert (fragt sich: 'Was hat sie ihm erzählt? Weiß er es? Fürchtet er sich?').

"Du bist also der neue Mann meiner Schwester. Sie ist ja wie verwandelt, seit sie dich kennt!" sagt er lächelnd, und gleichzeitig, unhörbar und doch so deutlich, als würde er mich anschreien, trifft mich das Signal aus seinen Augen: 'Du bist in Sicherheit, du kämst für mich gar nicht in Frage, du bist der Mann meiner Schwester, und außerdem will ich nicht jedem Kerl, den ich sehe, gleich an den Hosenschlitz!'

Der flüchtige Ausdruck auf seinem Gesicht kann Trauer oder Verachtung bedeutet haben, oder auch nur in meiner Einbildung vorhanden gewesen sein, ich weiß es nicht. Schmerz und Scham machen mich sprachlos. Dann ist der Augenblick vorbei und er wendet sich meiner Geliebten zu, die ihn sofort völlig vereinnahmt.

Sie sind keine Zwillinge, aber sie könnten es sein. Beim flüchtigen Hinschauen könnte man meinen, doppelt zu sehen. Sie sprechen von Leuten, die ich nicht kenne, sie machen intime Scherze, die ich nicht verstehe, sie scheinen sich wortlos zu verständigen, wo Worte nicht ausreichen. Und obwohl sie immer wieder versuchen, mir zu erklären, mich einzubeziehen, wächst mein Gefühl der Ausgeschlossenheit. Ich ziehe mich zurück, wie eine schwarze Blase steigt die Eifersucht in mir hoch.

Erinnerung an Augenblicke in meinem Leben, da das Tier seinen Kopf erhob, immer wieder, und meine Furcht es zurückzwang in diesen tiefen Brunnen, in den ich niemals wirklich zu schauen wagte, weil ein einziger aufmerksamer Blick dorthin mein ganzes Weltbild, mein ganzes Leben verändern mußte.

Der Hunger in mir, die Schuld, die Scham, die Suche, die Flucht, meine Schwäche für starke, beinah androgyne Frauen, die mir Widerstand boten, mir Kämpfe lieferten, mich im Bett und im Leben zu besiegen versuchten  -   und dadurch begehrenswert waren, daß sie mich ständig beschäftigten und mich davon ablenkten, was ich in Wirklichkeit suchte, ohne es selber zu wissen, oder wissen zu wollen.

Aus heiterem Himmel begreife ich es. In jenem Aufwallen glühender, wahnwitziger Eifersucht sehe ich plötzlich auch deren wahre Ursache: Wie sie da stehen und sich unterhalten, einander zulächeln und einander im Gespräch gedankenverloren streicheln, wie sie da ganz ineinander versunken sind, stehlen sie mir Zeit.

Seine Augen, mir so vertraut, weil es auch die Augen meiner Geliebten sind, leuchten wie Scheinwerfer. Die beiden Gesichter, die beiden Körper, einander so ähnlich, sind dunkelsamtig, fest und glatt. Sie ist das faszinierendste Geschöpf, das ich mir bis heute vorstellen konnte. Und mit jeder Minute, in der sie so innig zusammen sind, stehlen sie mir wertvolle Zeit. Zeit, die ich mit ihm verbringen könnte, wenn sie nicht da wäre.

Er hat alles, was ihr zur Vollkommenheit noch fehlt. Er ist alles, was ich haben und sein möchte, und ich fühle mein Herz brechen. Sie ahnt nicht und wird es nie erfahren, daß ich mich in sie verliebt habe, weil sie fast wie ihr Bruder ist. Ich hab es ja selbst nicht gewußt.

Ich wende mich ab, drehe mich zur Bar, starre in den Spiegel, in dem das alles noch einmal stattfindet (als wäre es nicht einmalig schon unerträglich genug), beobachte die beiden, bis mir die Augen tränen, krampfe die Hand um den gläsernen Aschenbecher.

Ehe ich es verhindern kann, hole ich aus und werfe das Ding mitten in sein Gesicht  -  ein häßliches Spinnennetz aus Sprüngen zieht sich über das Bild, knickt Gesichter und Hälse kreuz und quer, zerbricht ihn in hundert Facetten, die noch einen Herzschlag lang vor mir stehenbleiben, gleichsam schwebend, schwerelos. Noch ehe alles erschrocken aufblickt, lösen sich schon die Splitter voneinander,  stürzen  wie in  Zeitlupe  in  sich  zusammen,  ein allgemeiner Aufschrei mischt sich in das Knirschen und Brechen und dann ist nur noch fleckige Wand, wo vor Augenblicken noch all mein Verlangen zu sehen war.

"Das wird teuer", sagt jemand in die eintretende Stille.

Meine Geliebte tritt neben mich, streckt sich, stellt sich auf Zehenspitzen, um hinter die Bar zu sehen, wo sich der Scherbenhaufen über den ganzen Fußboden verteilt hat.

"So ein Pech. Jetzt kriegst du sieben Jahre keinen Mann!" sagt sie und lacht.