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KINDER BRAUCHEN HUNDE

Zu guter Letzt wachten die Eltern eines Sonntagmorgens auf, weil sie es hämmern und sägen hörten in ihrem Garten, und die Stimmen von Karli und Moritz, die sich gegenseitig Dinge zuriefen, wie ”Aaaachtuung, gleichzeitiiiiig!”, ”Halt doch mal das hier fest!”, ”Jetzt aber!”, ”Hooooo-ruck!” und dergleichen mehr.

Nun, da ich in meinem Bett liege und träume, ich säße an meinem Schreibtisch und schriebe eine Geschichte, weiß ich nicht mehr genau, ob dies der Anfang oder der Schluß war, wahrscheinlich aber beides. Sicher daran ist nur eines: Sie hat sich wirklich zugetragen, trägt sich noch immer zu und ich habe sie selber erlebt. Diese Geschichte von dem Kind Karli, das immer blaß war, zu allem zu schwach und zu klein, und nie richtig essen mochte, bis es einen Zauberer traf. Daß ein Kind leichter rote Wangen kriegt, wenn es einen Freund hat, der mit ihm durch dick und dünn geht, ist eine Binsenweisheit und muß hier nicht noch einmal besprochen werden. Daß sich Vater und Mutter um Karli sorgten, weil er eben immer blaß war, zu allem zu schwach und so weiter........, ist ganz natürlich.

”Immer sitzt du allein in deinem Zimmer. Du solltest einen Freund haben,” sagte der Vater ab und zu. ”Ich habe einen Freund. Wartet nur, bis er da ist,” erwiderte Karli dann und die Eltern wußten  beide nicht, was sie davon halten sollten. 

Und hier beginnt die eigentliche Geschichte von Karli und Moritz:

Etwas oder jemand stand vor der Tür. Er war groß und haarig und naß, dreckige Brühe tropfte von ihm auf die Türschwelle, und er stank erbärmlich. ”Guten Abend,” sagte er höflich, ”mein Name ist Moritz. Ich bin hungrig und naß und habe mich verlaufen. Können Sie mir vielleicht helfen?” Aber nur Karli hörte und verstand ihn wirklich.
”Ein Ungeheuer,” flüsterte die Mutter entsetzt.
”Schon eher ein Außerirdischer,” sagte der Vater und legte den Arm schützend um die Mutter. ”Der Kerl kann nicht von dieser Welt sein.”
”Es ist Moritz!” rief Karli begeistert und breitete die Arme aus. Und die nasse Gestalt tappte zur Tür herein, ging zu Karli, beugte sich über sein Gesicht und küßte ihn. 
”Ich bin gekommen, um die Sorgen zu beenden, die sich deine Eltern um dich machen,” sagte Moritz.

Wie in jeder wahren Geschichte kommen nun die ganzen Szenen, in denen die Mutter dem Unhold ihr Kind zu entreißen versucht, das diesem aber gar nicht entrissen werden will. Und die Diskussionen Karlis mit seinen Eltern, ob Moritz bleiben darf oder zurück in die Regennacht geschickt werden soll. Diese Diskussionen gewinnt natürlich Karli, nicht zuletzt deshalb, weil die Eltern ihn noch nie zuvor so lebhaft gesehen haben - obwohl die Mutter darauf besteht, daß Moritz vor dem Essen wenigstens zu allererst badet, und anschließend feststellt, daß er sauber gar nicht so übel aussieht und eigentlich sehr freundlich und höflich ist. Schließlich werden aus der einen Nacht, für die man Moritz aufgenommen hatte, viele Nächte und Tage, in denen die Eltern Vertrauen gewinnen, obwohl sie eigentlich nicht richtig verstehen, wer Moritz ist und was er zu sagen hat und nur Karli, der zusehends auflebt, sich mit ihm problemlos und fließend verständigen kann. Aber das ist noch nicht alles:

Geheimnisvolles ging vor, obwohl die Eltern längst nicht alles wußten. Sie wußten zum Beispiel nicht, daß Karli und Moritz an einer ganz bestimmten Stelle über einen ganz bestimmten Zaun kletterten, wenn sie nachts aus dem Haus schlichen. Und sie wußten nicht, daß auf der anderen Seite dieses Zaunes eine Landschaft begann, die sie noch nie gesehen hatten und auch nie sehen würden. Dort ritt Karli auf wilden Tieren, geriet in Höhlen, aus denen ihn freundliche Fledermäuse retteten, dort verwandelten sich Karli und Moritz in Werwölfe und unterhielten sich mit den anderen Wölfen und Werwölfen über Gott und die Welt.
Das alles wußten die Eltern nicht. Sie wußten nur, daß Karli rote Wangen hatte, wenn er von diesen Ausflügen zurückkam, daß er lachte und aß und kräftig wurde. Beim ersten Mal waren sie noch aufgeschreckt, hatten ängstlich hinterhergerufen, als sich die beiden nach Mitternacht aus dem Haus stehlen wollten. ”Aber Moritz paßt auf mich auf!” hatte Karli im Davonspringen gerufen. Und Moritz war die paar Schritte zurückgelaufen, hatte die Mutter angesehen und beruhigend ihre Hand berührt, und da wußte die Mutter, daß es die Wahrheit war. Nichts würde ihrem kleinen Sohn zustoßen, solange der Zauberer bei ihm war.

Im Weltall und tief unten im Meer trieben sich die beiden herum, und das ist die Wahrheit. Ich weiß zum Beispiel, daß sie einmal eine ganze Stadt vor der sicheren Vernichtung retteten, indem sie in letzter Minute einen verschollenen Wissenschaftler ausfindig machten, der ihnen die chemische Formel gab, mit der man das Ausbrechen eines Vulkans verhindern kann. Sie bauten auch allerhand nützliche Geräte und Karli lernte von Moritz sowohl mit einem Hammer als auch mit einem Photonendesintegrator richtig umzugehen. Und das bringt uns nun auch wieder zurück zu dem, was die beiden im Garten trieben, als die Eltern am Sonntagmorgen aufwachten:

Auf einem komplizierten Gerüst stand Karli, breitbeinig, in einem abenteuerlichen Kostüm aus Blättern, Stoffresten und Weihnachtspapier, mit hochroten Wangen und blitzenden Augen. Mit der rechten Hand hielt er sich ein Stück bemalten Pappkarton vor den Mund, die linke hatte er hochgereckt, mit gespreizten Fingern, als wolle er sich den Himmel greifen.
”Los, Scotty,” schrie er in sein Funkgerät. ”Energie!”
Und Moritz schnappte sich das Ende der Schnur, riß daran und ein Gemisch aus Lametta, Wassertropfen und was sonst noch alles glitzern kann, regnete auf Karli herab, hüllte ihn ein  -  und er verschwand!
Mit breitem Grinsen und heraushängender Zunge, kichernd und hechelnd, hüpfte Moritz um das Holzgestell herum, blickte beifallheischend auf die Eltern, die Arm in Arm auf der Veranda standen.
”Also weißt du,” rief der Vater lächelnd zu Moritz hinunter, ”was euch immer alles einfällt! Jetzt hol ihn aber auch wieder zurück!”
”Wer hätte das gedacht,” sagte die Mutter glücklich, während Moritz erneut auf die Schnur zuhüpfte und daran zog. ”Nichts fehlt dem Kind mehr. Er ist so glücklich und so  -  gesund!”
Der Vater nickte. ”Ja. Wir hätten einfach früher darauf kommen müssen. Kinder brauchen Hunde, um das Leben richtig zu spüren. Die Welt der Kinder ist ohne Hunde einfach nicht vollständig. Und eigentlich gilt für uns Erwachsene dasselbe.”
Nach einem liebevollen Blick auf ihre kleine Familie drehten sie sich um und gingen eng umschlungen ins Haus, während Karlis Lachen, vermischt mit dem fröhlichen Gebell von Moritz, hinter ihnen herklang.

Kitschig? Warten Sie, ich habe bisher nur die harmloseren Dinge erzählt. Dieser Schluß (oder Anfang?) läßt die Interpretation zu, daß Moritz, der geheimnisvolle Zauberer, einfach ein besonders häßlicher Hund mit einem goldenen Herzen und den ganz normalen magischen Eigenschaften aller Hunde war, der kam und Karli das Träumen lehrte. Aber manchmal glaube ich mich zu erinnern, daß alles doch ein bißchen anders war  -  und diese Erinnerungen sind mir ehrlich gesagt am allerliebsten. Geschichten verändern sich ja oft hundertmal, bevor sie niedergeschrieben werden, und auch noch danach, und Geschichten von seltsamen Freundschaften sind ein schier unerschöpfliches Thema. Jene andere Version der Geschichte  -  die ich ebenfalls wirklich erlebt habe  -  lautet nun folgendermaßen:

Daß Moritz in Wirklichkeit Cccxtrx´Ho hieß und sich nur deshalb als Moritz vorstellte, weil er, wie wir inzwischen wissen, ein sehr gutmütiges Geschöpf war und nicht die Absicht hatte, seinem kleinen Freund Karli etwas zu brechen, schon gar nicht die Zunge.
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Moritz war ein außerirdisches Wesen und das alles spielte sich erst neulich auf einer kleinen nordirischen Insel ab. Moritz hatte Hörner, die er einziehen konnte und war telepathisch begabt, was ihn in die Lage versetzte, den Menschen viele lustige Streiche zu spielen.
Er war verlorengegangen bei einem Ufo-Ausflug und am Ende fanden ihn seine Leute, jedenfalls war er vielleicht das seiner fernen Heimat entsprechende Gegenstück zu unseren Hunden.

Die Botschaft kam diesmal von dem, der ihn abholte:

”Krp slcht piauo xxrikc,” sagte die hochgewachsenste der Gestalten und streckte eine dunkelrot aufleuchtende Klaue in Karlis Richtung. ”Griensk jsdfhai djuxc.”
Moritz übersetzte für Karli, und der wieder übersetzte für seine Eltern:
”Kinder brauchen Hunde, um das Leben richtig zu spüren. Das ist in der ganzen Galaxis so.”
Dann machten die Außerirdischen noch einige seltsame Gesten, die von den Menschen richtig als Dank für die gute Verpflegung von Moritz und auch als Abschiedsgruß gedeutet wurden, stiegen in ihr Raumschiff und verließen die Erde. Und obwohl Karli seinen Freund Moritz nie vergessen konnte, war er doch bald wieder glücklich. Denn er kriegte von seinen Eltern einen Hund, den er alles lehrte, was Moritz ihn gelehrt hatte.

Ich finde, auch das ist ein sehr schöner Schluß (oder Anfang?) der Geschichte. Aber selbst wenn die dritte Version, die ich auch wirklich erlebt habe und vielleicht ein andermal erzählen werde, zutreffen sollte, ist sie auf jeden Fall gut ausgegangen, und das ist die Hauptsache.

Es ist spät geworden. Ich träume noch immer, ich säße an meinem Schreibtisch und schriebe eine Geschichte. Als mein Blick aus dem Fenster fällt, sehe ich draußen auf dem Feld Winnetou, den Häuptling der Apatschen, wie er auf seinem herrlichen schwarzen Hengst Iltschi unter dem Vollmond dahinjagt. Wie ein Schleier staubt der Schnee unter den trommelnden Hufen.

Geschichten von Kindern und Hunden müssen einfach ein Happy-End haben. Und wie ich Karli und Moritz da draußen vorbeitoben sehe, weiß ich, daß ich ganz beruhigt sein kann. Ob auf einer nordirischen Insel oder in der Nachbargalaxis  -  diese Geschichte ist so vielfältig wie die Farben im Auge eines Glücksdrachen, so alt wie das Universum, und sie geschieht noch immer.